Die große Überfahrt

Auf nach Schweden.

 

Der Wecker klingelt um halb sieben. Ich bin schon seit ca. 6 Uhr früh auf. Ich erinnere mich an den alten Weckruf auf den „Clipper Schiffen“, mit denen uns der Bootsmann zum Aufstehen ermunterte: „Die Sonne steht am Firmament, die Filzlaus längs der Sacknaht rennt. Auf auf ihr müden Leiber, die Pier steht voller nackter Weiber. Lüft an das Gatt. Lüft an das Bein, ein jeder will der erste sein. Reise Reise aufstehen“.  Ich setzte Teewasser auf, den für den langen Törn ist heißer Tee immer ein willkommenes Heißgetränk. Gilbert trink sowieso kein Kaffee, daher kochte für mich nur eine kleine Kanne. Die Sonne stand bereits recht hoch am Himmel, als wir ablegten. Die „Flöde“ lief kurz vor uns aus. Auch sie wollten den Umweg nach Norden machen, um russisches Gebiet zu meiden, dann aber nach Osten abfallen, um Klaipeda anzulaufen. Wir hatten uns für den Trip nach Gotland entschieden. Das waren auf direktem Weg ca. 140 Seemeilen, wir rechneten mit ca. 30 Stunden Reisedauer. Um keine Zeit zu verlieren, setzten wir sogleich Vollzeug.  Anfang kam der Wind noch raumschots bis achteraus, dann konnten wir mit am Wind in Richtung Norden segeln. Traumhafte Bedingungen. Die Moyenne lief ca. 6.5 Knoten, allerdings hatten wir erneut einen Knoten gegen uns. Auch mit dem Nord Kurs klappe es nicht ganz. COG waren dann so 17 – 20 Grad. Das brachte uns, nach ca. 7 Stunden doch an die Grenze der russischen Hoheitsgewässer. Über Funk hörten wir die „Coop 4“, die wir bereits vorher in einigen Häfen getroffen hatten, ein russisches Kriegsschiff auf Kanal 16 anrufen. Erfolglos. Später, als wir bereits gewendet hatten, erklangen dumpfe Donner auf Richtung Osten. Es bestärkte uns in dem Gefühl, dass Gotland das richtige Zielland sein sollte. Die Coop 4 ist übrigens sicher in Klaipeda angekommen, genauso wie die „Flöde“.

Da der Wind deutlich abnahm, mussten wir schweren Herzens die Segel bergen und die Maschine auf 2000 Umdrehungen und die Moyenne damit auf 6 Knoten beschleunigen. Wir hatten in Danzig den Tank mit 150 Liter randvoll gemacht. Das sollte locker reichen. Also Autopilot angestellt und Füße hochgelegt. Es sollte noch ein langer Trip werden, also war Kräftesparen oberstes Gebot. Gegen 17 Uhr ließen wir uns, die am Vortag gekochte Gemüsesuppe schmecken.

Die Sonne verabschiedete sich gegen 21.30 Uhr und ich verzog mich für zwei Stunden in die Koje. Vorher hatte Gilbert noch aus dem Reisetagebuch der Bahamas vorgelesen. Diese hatten wir 1988 für zwei Wochen besucht und dort so manches Abenteuer erlebt. An Gilbert ist ein Schriftsteller verloren gegangen und es war sehr schön gemeinsam in alten Erinnerungen zu schwelgen. Wir haben schon so manche Reise gemeinsam unternommen, alle waren anders aber alle ein tolles Erlebnis. Mit Einbruch der Dunkelheit gegen 22.30 Uhr nahm der Verkehr um uns herum deutlich zu. Ein Verkehrstrennungsgebiet lag nördlich von uns. Die meisten Schiffe waren Fähren oder Tanker, die auf der Ost-West Route unterwegs waren. Es ist immer wieder spannend, die Fahrtrichtung der Schiffe anhand der Lichterführung zu erkennen. Ich habe schon so manche Nachtfahrt hinter mir, insofern habe ich damit ausreichend Erfahrung. Es ist einfach ein tolles Gefühl durch die Nacht zu reisen. Um ca. 01.30 Uhr, der Himmel war bereits voller Sterne wies ich Gilbert auf drei hintereinander fliegende Satelliten hin. Wir trauten unseren Augen kaum, aus 3 wurden 4,6,8 schließlich zählten wir ca. 30 Satelliten, die aufreiht wie an einer Perlenschnur das Firmament überquerten, um im Nichts zu verschwinden, aus dem sie aufgetaucht waren. Leonie sagte mir am Morgen, dass dies die Star-Link Satelliten von Elon Musk waren. Unglaublich.

Gilbert der tapfer die Nacht durch (freiwillig) Wache gehalten hatte, verzog sich gegen halb vier in die Koje. Ich machte es mir im Salon gemütlich, überprüfte alle 15-20 Minten, Kurs, das AIS und den Horizont und genoss den Sonnenaufgang. Die Stunden zogen sich, aber da das Wasser bis auf eine angenehme Dünung ruhig war, hielt sich der Stress in Grenzen. Gegen 0700 Uhr kochte ich Tee und Kaffee und genoss die wärmenden Sonnenstrahlen im Cockpit. Meine Idee im Cockpit fein Katie Melua dabei zu hören, ging schief, jedenfalls für Gilbert. Ich hatte die Lautsprecherausgänge verwechselt und so sang Katie nicht nur laut für meine Ohren, sondern auch für Gilberts. Naja, um halb acht ist Aufstehen nach ca. 4 Stunden schlafen akzeptabel. Gilbert sah es genauso. Es war ein sehr schöner Morgen. Gilbert nutzte diesen, um Annett zu gratulieren und ich verzog mich nochmal kurz in die Koje. Schlagen konnte ich aber nicht mehr richtig. So fand ich mich kurze Zeit wieder im Cockpit ein. In zwei Stunden sollten wir im Hafen sein. Land kam in Sicht und wir waren, sehr froh, eine so entspannte Überfahrt gehabt zu haben. Hätte auch anders kommen können. Ein anderes Pärchen, war vor zwei Tagen durch russisches Gebiet nach Klaipeda gefahren. An dem Tag hatte es mit 5 aus NO geblasen und zumindest sie hat die ganze Zeit gekotzt. So hat es uns jedenfalls Alex von der Coop 4 berichtet.

Gegen halb elf liefen wir in den kleinen Hafen von Vändburg ein. Kein Mensch da, nur ein verlassenes großes Segelschiff. Wir machten längsseits fest, stellten die Maschine ab und es war Ruhe im Schiff. Während ich Landstrom legte, versuchte Gilbert irgendwie, über irgendeine App die Hafengebühr zu bezahlen und ggf. eine Info bzgl. der Toilettenbenutzung zu bekommen. Nach 20 Minuten brach er das Vorhaben frustriert ab. Ich hatte inzwischen an Bord geduscht. Das Moyenne T-Shirt und eine kurze Hose angezogen. Nach einem Anleger-Rose und dem Rest der Gemüsesuppe richteten wir einen verbogenen Beschlag am Gate. Dann machten wir es uns im Cockpit gemütlich. Die Schwalben zwitscherten, jagten durch die Lüfte, um danach hungrige Mäuler, versteckt in den Autoreisen an der Pier zu stopfen. Ansonsten war Ruhe.

Ich erledigte noch ein bisschen Büroarbeit. Später sollte es zum Strand gehen. Für den Abend standen gutes Essen (ggf. im Restaurant oder an Bord), gute Getränke und eine Zigarre auf dem Programm. Herrliche Aussichten.

 

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